Die piratische Mitte

Die Wahlen auf dem Parteitag in Halle können durchaus politisch interpretiert werden. Sie sind eine Distanzierung von einer Politik, die sich teils extremer Mittel bedient. Unsere stark kritisierten und eben so vehement verteidigten #gates waren ihre Spitzen, die von einer Mehrheit nicht mitgetragen werden. Meine Kernaussage des Parteitages war ein „Nein, uns ist nicht jedes Mittel recht“. Wer genau hingehört hat, dem muss auch aufgefallen sein, dass die viel proklamierte Kritik an linken und progressiven Ideen nur dann breit mitgetragen wurde, wenn diese kompromisslos und absolut formuliert wurden.

Was jetzt allerdings passiert, ist, dass den Piraten etwas wie ein Umkippen nachgesagt wird. In der aus dem vergangenen Jahr so eingefahrenen Mentalität des Lagerdenkens wird davon ausgegangen, dass jene, die nicht für einen progressiven Flügel sind, automatisch dagegen sind und JEDE Gegenposition unterstützen. Das ist so ein Quatsch. Leute! Ich sehe das wie ein Marathon: Nur weil manche schneller laufen und daher eine Spitzengruppe bilden, die weit vom Hauptfeld entfernt ist, heißt das noch lange nicht, dass die breite Masse in die andere Richtung läuft. Es geht tatsächlich nicht um die Richtung, sondern um den Laufstil, das Tempo und die Aggressivität, die hier angepasst werden. (Um bei dem Bild zu bleiben, machen viele, die besonders vehement vorpreschen und sich damit selbst aus der Reichweite des Anschlusses an das Hauptfeld gebracht haben, einen sehr ausgepowerten, erschöpften Eindruck. Politik ist aber ein Dauerlauf, kein Sprint.)

Wenn der Parteitag eins gezeigt hat, dann, dass es durchaus so etwas wie eine piratische Mitte gibt. Deren Handschrift steht im Programm, nicht in den Gesichtern von Vorständen, die immer Limitationen von Personenwahlen unterliegen. Dies, was für mich die größte Gewissheit in dieser Partei ist, wird im Schwall der gekränkten Egos und der sich ständig zu Extremen neigenden Diskussion via Twitter völlig vom Tisch gewischt. Ehrlich, da kann man ja nur noch Backsteine kacken, wenn man sich ständig so ein Zeug reinzieht und vor allem dies als DIE parteiliche Diskussion bewertet. Diese findet aber an Stammtischen statt, in den kleinen Mumblerunden, wenn es um die Vorbereitung politischer Aktionen geht. Diese findet in der Abstimmung der Arbeiten der Mandatsträger in den Land- und Kreistagen und der Stadtvertretungen statt. Hier ist schlechte Diskussionskultur auch kein Thema. Die Realität richtet den Fokus auf die Sache. Hier ist das Programm der Richtungsgeber und nicht die Beziehungssituation eines Bundesvorstandes.

Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Korrektiv der piratischen Mitte eben so in die andere Richtung erfolgen wird, wenn deren extreme Spitzen einen parteivertretenden Anspruch entwickeln. Es wird keine Minimalisierung des Programms auf Netz- und Urheberrechtsthemen eine Chance haben, kein Streichen der Forderung nach einem BGE, kein Stoppen des Einsatzes für eine menschliche Flüchtlingspolitik. Die Mitte wird Stillstand durch Angst und Bedenken genauso quittieren wie sie es mit dem übereifrigen Aktionismus getan hat. Da liegen die Zwei-Drittel Mehrheiten: in unserem Programm. Wer jetzt die Partei verlässt, nachtritt, resigniert oder einfach bloß leidet, dem sei das ans Herz gelegt, denn dies ist das Herz der Partei.