Keine Sorge, es folgt kein Jahresrückblick. Zugegeben, ich hatte es eigentlich vor, aber beim Ideensammeln gewann ich etwas Abstand für das Gesamtbild und beschreibe lieber dieses. Ich wage dabei zu behaupten, dass unser kleiner Landesverband im Norden auf eine ganz stille und kaum beachtete Art strukturell so ziemlich das Fortschrittlichste ist, was derzeit in der Parteienlandschaft existiert. Eine steile These, ich weiß. Ich versuche sie mit folgenden Punkten zu untermauern:
- Wir haben eine SMV. Nicht erst seit Gestern, sondern seit fast schon zwei Jahren. Diese SMV ist sicher nicht perfekt, aber sie ist stabil, wirksam, akzeptiert. Sie schafft einen Kompromiss zwischen informationeller Selbstbestimmung (kein Klarnamenzwang) und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen (mehrstufiges Überprüfungsverfahren mit In-camera-Schritt). Sie ist tatsächlich dezentral (Akkreditierung über Postident möglich) und nutzt Synergien mit anderen Strukturen (Akkreditierung auch nutzbar als BEO-Verifizierung). Vor allem aber: Sie kann sowohl politisch gestalten (verbindliche Positionspapiere und Programmbeschlüsse) als auch Amts- und Mandatsträgern als Empfehlungswerkzeug (Meinungsbilder und Schnellverfahren) dienen.
- Wir haben leichte Strukturen. In Mecklenburg-Vorpommern haben wir extrem viel Fläche, wenige Einwohner und noch weniger Piraten. Wir haben Landkreise, größer als das Saarland, in denen es aber nur ein halbes Dutzend nennenswert aktiver Piraten gibt. Damit die sich organisieren können, vor allem zitierfähig werden und über die Verwendung eigenen Geldes entscheiden können, haben wir eine Struktur der Gebietsversammlung eingeführt. Sie brauchen keinen Kreisverband zu gründen, um über einen eigenen Sprecher und ein eigenes Budget im Landeshaushalt zu verfügen.
- Unser Aktive/Mandatsträger-Verhältnis ist phänomenal. Bei den Kommunalwahlen 2014 errangen zehn Piraten ein Mandat. vier in Kreistagen, sechs in Gemeindevertretungen. Setzte ich dies ins Verhältnis zu den 22 Piraten der letzten Mitgliederversammlung, zeigt dies, dass wir auch mit wenigen schon viel erreichen können. Viele von uns besitzen so die Fähigkeit, vor Ort tatsächlich politisch mitzugestalten. Auch das Verhältnis zu Parteiämtern (3 x LaVo und ab 01.01.2015 nur noch 6 x KVos) ist angenehm entspannt und findet trotz so dünner Personaldecke nur zwei Überlappungen von Amt und Mandat.
- Wir machen liquide Demokratie. Nicht nur in der SMV. Selbst für die meisten Piraten außerhalb von Mecklenburg-Vorpommern unbekannt und oft auch unvorstellbar, haben wir liquid delegierte Mitgliederversammlungen. Es ist möglich, bei Abwesenheit im Vorfeld seine Stimme nicht-transitiv auf einen anderen Teilnehmer der Landesmitgliederversammlung zu delegieren. Bei uns wird die basisgetriebene Mitbestimmung vorangetragen und von der andernorts noch diskutierten reinen Anwesenheitsdemokratie ein Stück weit entkoppelt. Das klappte erstaunlich reibungslos und ermöglichte ca. 1/5 der aktiven, aber zeitlich verhinderten Mitglieder, trotzdem zur Richtung des Landesverbandes beizutragen. Aus Gestaltungswillen entstanden und mit ruhigen Pragmatismus in die Tat umgesetzt.
Auf die Punkte bin ich grade in ihrer Summe ziemlich stolz und es bereitet mir große Freude, dass wir als Landesverband diese erreicht haben. Wir haben es still getan, nicht um eines lauten Prinzips wegen, sonders weil es uns richtig erschien und weil es eine praktische Notwendigkeit gab, die damit befriedigt wird. Es ist die ganz handfeste und reale Umsetzung dessen, wie wir denken, dass eine demokratische Partei, die von Partizipation lebt, gestaltet werden soll. Dennoch macht uns dieser Zustand weder selbstbesoffen noch blind für die Probleme, die wir als Landesverband trotzdem haben und jeder hat so seine eigenen kleinen Reibungspunkte mit der Partei:
Zuweilen empfinde ich persönlich manche politischen wie persönlichen Einstellungen als zu konservativ, zu vorsichtig und leider oft auch zu kompromisslos. Andere Aspekte, wie unserer Frauenanteil mache ich niemanden einzelnen zum Vorwurf, dennoch schmerzt mich die geringe Partizipation und auch die geringe Wahrnehmung dieser als eines unserer Probleme. Zwar hatten 2014 fast alle aktiven Frauen bei uns auch ein Parteiamt inne und auch war unsere Listenplatz 1 im Bundestagswahlkampf eine starke Frau, dennoch ist die allgemeine weibliche Beteiligung an der politischen Arbeit mir zu gering. Eine Frauenquote halte ich prinzipiell für richtig und wichtig, um den gesellschaftlich männlich geprägten Habitus zu überwinden. Praktisch wird es bei uns aber zu einer existenzgefährdenden Nichtbesetzung von Schlüsselpositionen führen. Ich weiß noch nicht, wie wir das lösen können.
Auch nutzt die noch so moderne Struktur wenig, wenn wir unsere Hausaufgaben nicht schaffen und zur Landtagswahl 2016 ein Parteiprogramm zu entwickeln, durch dass sich ein Credo, eine Gesamtaussage zieht, für die die Piratenpartei Mecklenburg-Vorpommern steht. Die auch die Politik der kommunalen Mandatsträger mit einen roten Faden verbindet. So bleibt bei alle Freude über Erreichtes im strukturellen Bereich noch viel Arbeit in vielen anderen Bereichen, auf dass uns nie langweilig wird.
Ich wünsche allen Lesern einen guten Rutsch und viel Tatendrang und Schaffenskraft im neuen Jahr.